Dev #05: Personal Space

Lernen ist in soziale Kontexte eingebettet. Lernen mit Figments.nrw in der virtuellen Realität ist von der Notwendigkeit, sichere Räume für diese Interaktionen zu schaffen, nicht ausgeschlossen. Daher konzipieren wir ein System für Personal Spaces, das einerseits unsere Lernenden schützt und uns andererseits hilft, darauf aufbauend reaktive Interaktionsmethoden zu entwickeln.

Dev #05: Aktuelle Aktivitäten

Das Team entschied sich für das Thema des zweiten zu evaluierenden Anwendungsfalls, der sich mit der kompletten „Content Authoring Pipeline in VR“ beschäftigen wird. Mit diesem allgemeinen Thema wollen wir die Kernkonzepte und Funktionalitäten zur Erstellung von Lerninhalten für Virtual Reality direkt in Virtual Reality etablieren – ohne für Anwender eine Notwendigkeit zu schaffen, ständig zwischen Desktop und VR wechseln zu müssen. Fokusgruppe für diesen Anwendungsfall sind Content Autoren, u.a. Professor*innen, Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Dies erweitert die Auswertungen der ersten Studie, die sich auf die Perspektive der Studierenden konzentrierte. In einem zukünftigen Beitrag werden wir unsere Ideen und ersten Umsetzungen in diesem Zusammenhang vorstellen.

In diesem Devblog wollen wir über unsere Ideen zur Schaffung eines sicheren Raums für soziale Interaktionen in der virtuellen Realität sprechen.

Die Form und Größe eines Personal Spaces

Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die soziale Interaktionen sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt betreffen. Einer dieser Aspekte kann ist die zwischenmenschliche Distanz, die während einer Interaktion mit Anderen eingehalten wird und die z. B. zu negativen Wahrnehmungen führen kann, wenn eine bestimmte Distanz unterschritten wird. In abstrahierter Form können solche persönlichen Räume (Personal Spaces) unterschiedlich ausfallen, z. B. im Hinblick auf Annäherungswinkel, Mimik, Aussehen, allgemeines Verhalten, Geschlecht von sich nähernden Personen oder Avataren. In der Literatur wurde häufig festgestellt, dass solch ein Personal Space ellipsenförmig bzw. fast kreisförmig 2 ist, mit einem bevorzugten zwischenmenschlichen Abstand von etwa 100 cm. Während sich die zur Beschreibung verwendeten Begriffe unterscheiden können, handelt es sich meist um ähnlich ausgeprägte Bereiche und Distanzen. Bönsch et al. (2018) beispielsweise wenden die von Hall (1966) erstmals beschriebenen Bereiche auf Anwendungen in der Virtuellen Realität an (in ihrer Studie in einem CAVE-System). Wir planen, diese Distanzangaben für unsere Arbeit an Figments.nrw wie folgt zu adaptieren:
  • Intim (< 45 cm)
    Dieser Bereich beschreibt Entfernungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Körperkontakt in der realen Welt mit einem erhöhten Bewusstsein dafür bei den beteiligten Personen. Dieses Bewusstsein – und das daraus potenziell resultierende Gefühl des Unbehagens – lässt sich bemerkenswert gut auf die virtuelle Welt übertragen, weshalb wir uns entschlossen haben, diesen Bereich zu schützen. Wir arbeiten an Ideen, um beispielsweise die Bewegung von Nutzern, die sich auf diese Distanz nähern, zu blockieren.
  • Persönliche (45-120 cm)
    Eine Art Schutzblase um die eigene Person, in dem andere zwar nicht mehr unbedingt als zu nah oder zu aufdringlich empfunden werden, in dem aber immer noch ein Gefühl der Nähe wahrgenommen werden kann. Die Sichtbarkeit von Gesichtszügen und Körperbewegungen anderer ermöglicht nonverbale Einflüsse auf die eigene Interaktion (z.B. das Anreichen von Gegenständen) und Kommunikation (über räumlichen Voice-Chat). Diese können in der virtuellen Realität im Allgemeinen und in Figments.nrw im Besonderen genutzt werden, um lernförderliche soziale Interaktionen zu ermöglichen. Das Design, die Animation und die Reaktionsfähigkeit von Avataren sind in diesem Bereich besonders relevant.
    In den Einstellungen können die Nutzer diesen Schutzbereich ein- oder ausschalten. Ist er aktiviert, wird die Sichtbarkeit sowie die Möglichkeit, sich per Voice-Chat mit Nutzern zu unterhalten, die den persönlichen Bereich betreten, angepasst. Wir wir dies genau implementieren werden, untersuchen wir aktuell noch. Dabei testen und bewerten wir diverse Methoden, z. B. durch die Reduktion der Sichtbarkeit oder veränderte Darstellung von Avataren, die sich diesem Bereich nähern.
  • Sozial (120-360cm)
    Die Fähigkeit, Gesichtszüge detailliert wahrzunehmen nimmt mit zunehmender Distanz ab, in Virtual Reality aufgrund der Auflösung der meisten HMDs noch stärker als in der realen Welt ab. Zudem ist auf diese Distanz kein unerwünschter Körperkontakt mehr möglich. Soziale Interaktionen zwischen Anwendern, die diese interpersonelle Distanz einhalten, sind also häufig bereits sicherer und benötigen weniger bis keine Schutzmaßnahmen. Die Verwendung von Raumklang für Voice-Chat überträgt diese Aspekte gut in den virtuellen Raum. Dies ist der Hauptbereich, den wir für Gruppeninteraktionen in der virtuellen Realität sehen, die keine besonderen Schutzmaßnahmen erfordern.
  • Öffentlichkeit (> 360cm)
    In dieser Entfernung sind nicht nur die Nuancen des Aussehens und der Mimik eines Avatars reduziert, in den meisten Fällen ist eine direkte Interaktion zwischen Benutzern etwas, das nicht ohne eine zielgerichtete Absicht passieren kann (die häufig aufgrund der Entfernung schon frühzeitig erkannt werden kann). Zum Beispiel könnte man die Aufmerksamkeit eines weiter entfernten Nutzers durch Winken (eine gut sichtbare Mimik) oder durch Annäherung (eine absichtliche Bewegung) erreichen.Da dieser Bereich alle Benutzer in einem öffentlichen (virtuellen) Raum umfasst, treffen wir Vorkehrungen, um mögliche Ablenkungen durch andere zu reduzieren. So werden alle Anwender im Standardfall auf Spatial Audio zur Kommunikation zurückgreifen und daher in dieser Entfernung für andere nicht mehr hörbar sein. Gleichzeitig gilt es, auch Gruppenszenarios, Instruktionen und ähnliches zu ermöglichen, weshalb eine Broadcasting-Funktion vorgesehen ist, die es einzelnen Teilnehmern erlaubt im kompletten virtuellen Raum hörbar zu sein.
Diese Überlegungen zur Form und Größe des persönlichen Raums beziehen sich größtenteils auf Interaktionen zwischen zwei Nutzern oder auf Interaktionen zwischen einem Nutzer und einer kleinen Gruppe. Da das Lernen mit Figments.nrw im Kontext der Hochschulbildung stattfinden wird, wollen wir auch größere Gruppenszenarien unterstützen. Wie sich die oben erwähnten zwischenmenschlichen Distanzen auf solche Gruppenszenarien und auf eventuell notwendige Anpassungen der Größen und Formen der persönlichen Räume von Individuen in einer größeren Gruppe ähnlicher Nutzer (z.B. Studenten) auswirken, ist ein mögliches Thema für weitere Studien.

Personal Space in Figments.nrw

Vorläufige Visualisierung (nur zu Testzwecken) der persönlichen Räume in Figments.nrw, wobei Rot die intime, Orange die persönliche und Grün die soziale Distanz beschreibt.

Aufbauend auf dieser konzeptionellen Grundlage sind wir derzeit dabei, Personal Spaces in Figments.nrw zu implementieren. Ein erster Entwurf für unsere interne Entwicklung ist in der obigen Abbildung zu sehen, in der die Bereiche der zwischenmenschlichen Distanzen durch verschiedenfarbige konzentrische Kreise visualisiert werden. Davon ausgehend werden wir testen, bei welcher Entfernung wir Schutzmaßnahmen ermöglichen wollen und wie diese funktionieren sollen. Darüber hinaus erforschen wir Möglichkeiten, diese Entfernungsbereiche für eine distanzabhängige, situative Informationsbereitstellung (z. B. über Objekte oder Teilnehmer in der Nähe) zu nutzen.

Literatur

  1. A. Bönsch et al., „Social VR: How Personal Space is Affected by Virtual Agents‘ Emotions,“ 2018 IEEE Conference on Virtual Reality and 3D User Interfaces (VR), 2018, pp. 199-206, doi: 10.1109/VR.2018.8446480.
  2. Hecht, Heiko, et al. „The shape of personal space.“ Acta psychologica 193 (2019): 113-122. PDF: https://www.bbk.ac.uk/psychology/bodylab/docs/hechtEtal-acta-2019.pdf, last accessed 2022/03/22
  3. Alger, Mike. „Visual design methods for virtual reality.“ Ravensbourne (2015) PDF: http://aperturesciencellc.com/vr/VisualDesignMethodsforVR_MikeAlger.pdf, last accessed 2022/03/22
  4. Hall, E. T. „The Hidden Dimension: Man’s Use of Space in Public and Private (London, The Bodley Head).“ (1966).

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